Nachdem Benoît und ich die Grenze überquert hatten, hielten wir am ersten Restaurant an um eine längere Pause zu machen. WLAN, Mittagessen und ein kleines Nickerchen, gestärkt setzten wir unsere Fahrt fort. Der Verkehr hielt sich noch in Grenzen, neben den Straßen waren so gut wie nur Felder zu sehen, so hatten wir am Abend Schwierigkeiten einen Schlafplatz zu finden. Wir fragten Leute, ob wir auf ihren Grundstücken unsere Zelte aufschlagen dürften, beim ersten Versuch wurden wir abgelehnt. Der Ehemann war nicht zu Hause und ohne vorherige Absprache wollte uns die Frau keine Erlaubnis erteilen. Wenige Minuten später bekamen wir jedoch ein Ok und konnten unsere Zelte aufstellen.
Am nächsten Tag erreichten wir Bukhara, eine der zwei historischen Städte an der Seidenstraße, die wir in Usbekistan zu sehen bekommen haben. Die Innenstadt war sehr herausgeputzt, viele alte, schöne Gebäude, wirkte auf mich aber sehr künstlich. Im Zentrum gab es neben den Sehenswürdigkeiten nur Hotels, Restaurants und weitere Angebote für Touristen. Einheimische suchte man vergebens, es sei denn sie waren in der Tourismusbranche tätig. So wirkte es auf mich zu sauber und schön, ohne Charme, als wäre ich in einer Art Disneyland gewesen.
Der Rückenwind drückte uns von Bukhara schnell in Richtung Norden. Bei der Stadtausfahrt passte sich ein Bus unserer Geschwindigkeit an, stellte uns während der Fahrt Fragen nur um später komplett anzuhalten und mir eine Hand voll Aprikosen in die Hand zu drücken. Um den Verkehr auf der Hauptstraße aus dem Weg zu gehen fuhren wir weiter Richtung Norden, als diese nach Osten abbog. Die Straße nach Nurata war aufgrund einer Baustelle gesperrt, Einheimische versicherten uns aber, dass wir mit unseren Fahrrädern die Straße befahren könnten. Keinerlei Verkehr, nur die ein, zwei Kilometer auf Schotter vor beziehungsweise nach der Passhöhe mussten wir uns mit LKWs und Baggern teilen. Hinter Nurata führte die Straße durch ein breites Tal, auf beiden Seiten hoben sich die Berge in die Höhe, auch wenn die nördliche Bergkette ein gutes Stück entfernt war. Landschaftlich sehr schön, nur konnte ich diese nicht richtig genießen, da ich die nächste Stadt Samarkand schnellstmöglich erreichen wollte. Mein Magen bereitete mir seit Tag 1 in Usbekistan leichte Probleme, das Essen behielt ich zwar immer drin, fühlte mich aber oft unwohl und fehlte mir die Energie. Eventuell hatte ich mir etwas eingefangen, vielleicht war es aber auch die viele Fahrerei der letzten Wochen und mir mein Körper auf diesem Wege mitteilte, dass es Zeit für eine Pause war.
„Sind Sie Deutsch?“ Wir fuhren gerade von der größeren Straße ab um auf den nächsten Kilometern einen Schlafplatz zu finden, als eine Frau uns hinterherrief. Wir drehten um und schauten in ein Gesicht mit strahlenden Augen und einem breiten Grinsen. Diloba ist Deutschlehrerin an der kleinen Schule im Dorf und freute sich ungemein zwei deutschsprechende Touristen getroffen zu haben. Nach einer kurzen Unterhaltung lud sie uns zu sich nach Hause ein, die Zelte konnten heute somit in den Taschen bleiben. Nach dem Abendessen erzählte sie von ihrem Deutschstudium in Tashkent, dem Traum nach dem Abschluss in Deutschland zu leben und der Zwangverheiratung, der diesen zu Nichte gemacht hatte. Diloba und ihr Ehemann kamen aus demselben Dorf, kannten sich zuvor aber nicht. Ihre Väter fällten diese Entscheidung während die beiden zum Studium beziehungsweise beim Militär in der Hauptstadt waren. Es war komisch, sie hatte dies nicht verstanden, könnte sich dagegen aber auch nicht wehren. Heute sagt sie, dass dies eben das Leben und nicht zu ändern sei. Für das Leben im Dorf, die ständige Arbeit in der Schule sowie auf dem Hof und keinen einzigen Tag Urlaub im Jahr zu haben hat sie dieselbe Antwort: „Das ist das Leben.“
15 Kilometer vor Samarkand trafen Benoît und ich noch zwei weitere Schweizer, zusammen fuhren wir in die Stadt und suchten uns ein Hostel. Die drei Schweizer legten nur einen Tag Pause ein und fuhren dann in Richtung Norden beziehungsweise Osten weiter, ich blieb länger da ich die Pause benötigte. Zudem wartete ich auf ein Päckchen aus Deutschland. Im Iran hatte sich die Verklebung in meiner Schlafmatte gelöst und sorgte für eine Blase, die durch die weitere Benutzung der Matte immer größer geworden war. Der Hersteller stellte mir eine neue Schlafmatte zu Verfügung, nur ließ diese auf sich warten. Auch Samarkand hatte jede Menge alte, schöne Gebäude zu bieten und gefiel mir besser als Bukhara, da auf den Straßen und Plätzen mehr Leben herrschte.
Da ich schon eine Woche in Samarkand gewesen war und es nicht absehbar war wie lange das Päckchen noch unterwegs sein würde, entschied ich mich eine kleine Runde östlich von Samarkand zu fahren. Ich war auf dem Weg in den Zomin Nationalpark, fuhr parallel zur tadschikischen Grenze. Als es am zweiten Tag mittags anfing zu gewittern, ich mich bei einem Haus unterstellte, wurde ich kurz darauf eingeladen. Erst zu Tee, später auch zum Übernachten. Viel gefahren war ich zwar noch nicht, aber fand ich es ganz nett mit der Familie usbekisches Fernsehen (Fußball und Mr. Bean) zu schauen und mit den Kindern Volleyball und Fußball zu spielen. Am nächsten Morgen wanderten wir noch an einem Fluss entlang und einen kleinen Berg hinauf bevor ich wieder weiterfuhr. Die Straßen wurden schlechter, die Abstände zwischen den Dörfern größer und somit immer ruhiger. Ich habe es genossen durch die schöne Landschaft zu fahren auch wenn es zum Teil recht steil zur Sache ging. Ich bekam nur wenige Autos zu sehen, zwei mir entgegenkommende „schwer bepackte Wanderer“ stellten sich als junge Soldaten heraus. Die Grenze war nur wenige Kilometer entfernt.
Als ich im Zentrum des Nationalparks angekommen war, war es mit der Ruhe aber vorbei. Viele Besucher, viele Verkaufsstände, viele „Selfie-Anfragen“. Immerhin hatte ich den höchsten Punkt der Straße erreicht und konnte von nun an wieder bergab rollen. In den sieben Tagen, die ich unterwegs war, hatte ich jeden Tag Gewitter sehen und hören können, nur zwei Mal habe ich allerdings Regen abbekommen. Ich stellte mich also wieder unter, wurde kurzdarauf aber zu einem Mann und einer Frau ins Auto gewunken, die mich mit Fanta und Brot durchfütterten, während die Hagelkörner aufs Auto schlugen. Am Abend fuhr ich noch weiter bergab und fand einen trockenen Zeltplatz direkt an einem Fluss und neben einem Bienenwagen, wo ich erneut zu Abendessen und Frühstück eingeladen wurde. Der 17-jährige Sohn zeigte mir am Morgen wie er die Einsätze für die Bienenkästen baut und ließ mich (leere) Bienenwaben und Körner von Pflanzen probieren. Die Waben sind besser als Kaugummi, zumindest wenn es darum geht wie lange man darauf herumkauen kann. Die Körner sollen gut für die Durchblutung sein und Energie geben. Beides empfiehlt der Doktor.
Im Ort Zomin füllte ich meine Taschen auf und entschied mich, anstatt zur Autobahn zu fahren (Verbindungstraße Samarkand-Tashkent), einen gestrichelten Weg über einen Berg zu nehmen, der auf meiner Karte eingezeichnet war. Unterwegs dorthin bestätigten mir Leute, dass es diesen Weg geben würde, er aber sehr steil wäre. Ich wollte es trotzdem probieren, umdrehen könnte ich später immer noch. Hinter dem letzten Dorf begann der Schotterweg, es war sehr warm, mein T-Shirt komplett nass. Drei Kilometer vor der Passhöhe schlug ich fix und fertig mein Zelt auf. Am nächsten Morgen hörte ich Geräusche und sah dutzende Kühe um mein Zelt herum, die gerade ihr Frühstück zu sich nahmen. Die nächsten 700 Meter konnte ich noch fahren, dann fing das Schieben an. Vom Schotterweg war nur noch ein kleiner Pfad übriggeblieben. Für die drei Kilometer und 500 Höhenmeter brauchte ich zweieinhalb Stunden, aber auch nur weil ein Mann, der mit Esel zu seiner Herde unterwegs war, mir bei den steilsten Stücken beim Schieben half. Ohne seine Hilfe hätte ich des Öfteren Taschen und Fahrrad einzeln nach oben tragen müssen.
Die ersten Meter bergab gingen gut, es gab einen Weg. Dieser verschwand dann irgendwann, so dass ich mir meinen eigenen Weg kreuz und quer durch das Gras und an Steinen vorbei suchte bis ich an einem Bach ankam, durch den ich von nun an regelmäßig hindurchfahren musste. Nach fünf Stunden und zehn Kilometer „Fahrt“ kam ich im anderen Tal an und hatte wieder eine Straße unter meinen Rädern. Dieser Weg direkt über den Berg war eine etwas andere Erfahrung, hat aber sehr viel Spaß gemacht. Beim nächsten Mal sollte ich aber über weniger Gepäck/Gewicht und ein anderes Setup nachdenken (Stichwort: Bikepacking).
In diesen sieben Tagen hatte ich auch einen anderen Kocher dabei, da die Flasche meines Benzinkochers kaputt gegangen war. Eine Schraube, die einen Zentimeter in die Tasche hineinragte, schlug ein Loch in die Flasche, als das Fahrrad vor dem Hostel in Samarkand vom Wind umgeschmissen wurde. Die Schraube hatte ich in Bosnien und Herzegowina gekauft (die passende Länge ließ sich nicht auftreiben, also lieber zu lang als zu kurz), nachdem sich die Originalschraube gelöst und ich diese verloren hatte. Den Ersatzkocher bastelte ich mir aus einer Bierdose, den ich mit Alkohol betreiben konnte. Dieser funktionierte erstaunlicherweise ziemlich gut, im Vergleich zum Benzinkocher brauchte es aber natürlich länger bis das Wasser kochte. Das Preis-Leitungsverhältnis ist dafür unschlagbar.
Zurück in Samarkand nahm ich meine neue Schlafmatte in Empfang, machte nochmals ein paar Tage Pause und mich schließlich auf den Weg in Richtung Tadschikistan.
Lieber Moritz,
ich bin mal wieder total begeistert von deinem neuen Bericht, wie jedes Mal mit beeindruckenden Bildern – der Natur und den Menschen so nah. Und die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der Menschen hört nicht auf. Das ist wunderbar!
Ich freue mich schon jetzt auf deinen nächsten Reisebericht🌏.
Grüßle
Mama
👍🏻👍🏻👍🏻
Lieber Moritz,
fazinierender Bericht und Photos…..manchmal kann ich es nicht fassen, wie Du das alles meisterst.
Weiterhin gute Begegnungen mit freundlichen,hilfsbereiten Menschen und bleib gesund .
Liebe Grüße
Gabi und Frank
Deine treuen Leser warten auf einen neuen Bericht und viele schöne Bilder