Montenegro, Albanien und Kosovo

Von der Grenze ging es die meiste Zeit bergab, nach 40 Kilometern erreichte ich Nikšić, die zweitgrößte Stadt Montenegros. Über Warmshowers lernte ich Petar kennen, bei ihm und seiner Familie durfte ich die nächsten Tage übernachten. Ursprünglich hatte ich geplant nur für einen Tag zu bleiben, da ich in der Stadt allerdings etwas Falsches gegessen hatte, war mir die nächsten zwei Tage leicht übel und ich verbrachte die meiste Zeit im Bett oder im Garten auf der Couch. In dieser Zeit habe ich mich viel mit Petar und seinem Vater Dragan unterhalten. Es war interessant zu hören wie Petar, der in Deutschland als Ingenieur gearbeitet hatte, das fremde Land und die Leute wahrgenommen hatte. Aufgrund der zu großen kulturellen Unterschiede kehrte er nach einigen Monaten nach Montenegro zurück.
Nach vier Tagen in Nikšić machte ich mich wieder auf den Weg und nahm eine ruhige, kurvige Nebenstraße in Richtung Albanien. Kurz hinter der Hauptstadt Podgorica wurde ich aufmerksam, als mir die „Niagara Fälle“ angepriesen wurden. Ich bog von der Hauptstraße ab, nur um ein paar Kilometer später ein trockenes Flussbett vorzufinden. Ich vermutete, dass der Fluss von einem der vielen Stauseen in der Umgebung bespeist wird, deren Pegel zu dieser Jahreszeit auf einem sehr niedrigen Niveau sind. Ein paar Kilometer später erreichte ich Albanien und war doch sehr überrascht als ich auf der Suche nach einem Schlafplatz am Skutarisee einen Campingplatz entdeckte, der fast schon einer deutschen Enklave glich. Einen Campingplatz und so viele Deutsche hatte ich hier nicht erwartet. Am nächsten Morgen fuhr ich durch die Stadt Shkodër, ich war fasziniert von dem Chaos, das auf den Straßen herrschte. Es wird ständig gehupt, man fährt kreuz und quer und mit betätigter Warnblinkanlage wird auf einer der zwei Fahrspuren gehalten, so dass diese stets blockiert ist, um zum Beispiel vier Matratzen übereinander auf das Autodach zu laden oder einfach um sich zu unterhalten. Nachdem ich das Treiben in der Stadt eine Weile verfolgt hatte, verließ ich Shkodër und es ging langsam bergauf. Die nächsten Tage sollten mich durch die Berge Albaniens im Nordosten des Landes führen. Die Suche nach geeigneten Zeltplätzen gestaltete sich schwierig, da es neben der Straße steil bergauf beziehungsweise bergab ging oder die Landschaft sehr felsig war. Ebene, steinfreie Flächen waren rar. An meinem ersten Tag in den Bergen entdeckte ich ein einsames, verlassenes Haus, neben dem ich auf einem schmalen Stück mein Zelt aufschlagen konnte. Am Abend fing es stark an zu winden und das Donnern des losen Wellblechdaches diente als Einschlafmusik. Der Wind flaute über Nacht nicht ab, sondern wurde sogar noch stärker.

Am nächsten Morgen hatte ich trotzdem beste Laune, es machte Spaß mit dem Wind zu „kämpfen“ und ich ging davon aus, dass sich dieser zur Mittagszeit wieder legen würde. Dies tat er auch – zwei Tage später. Der Wind änderte immer wieder plötzlich seine Richtung. Nachdem ich zwei Mal von stürmischen Böen überrascht wurde und diese mich in die Leitplanke sowie einen Abhang hinunterdrückten, war mir klar, dass ich aus diesem Kampf nicht als Sieger hervorgehen würde. Von nun an stoppte ich sobald es zu stürmen anfing oder fuhr in der Mitte der Straße beziehungsweise auf der Gegenspur, wenn es auf meiner Seite steil bergab ging. Aufgrund des geringen Verkehrsaufkommens war dies die deutlich sichere Variante. Da ich nur sehr langsam vorankam dauerte es länger als gedacht bis ich den nächsten Lebensmittelladen erreichte. Bis dorthin musste ich mir mein Wasser einteilen, weil Bäche und Quellen nicht auffindbar waren, und zum Essen mussten trockene Haferflocken herhalten. Ich war überglücklich, als ich in einem Dorf einen kleinen unscheinbaren Laden fand, an dem ich sogar fast vorbeigefahren war. Ich deckte mich mit Getränken und Essen ein und fuhr gestärkt weiter nach Pukë. Kurz vor Fushë-Arrëz bog ich von der Straße ab und folgte einer Schotterpiste um einen Schlafplatz zu finden. Geschützt vor dem Wind, baute ich mein Zelt in einem kleinen Häuschen auf. Während ich die letzten Löffel von meinem Abendessen nahm, hielt ein Mann in seinem alten Golf direkt vor meiner Nase und gab mir mit Zeichen zu verstehen, dass ich meine Sachen zusammenpacken sollte. Bei der Kälte sollte ich nicht draußen übernachten müssen und so verbrachte ich die Nacht in einem warmen Bett im Haus von Brahim und Lavdia.

Am nächsten Morgen bog ich hinter Fushë-Arrëz auf eine kleinere Straße ab, von nun an ging es abwechselnd bergauf und bergab. Die Luft war frisch und kühl, es herrschte kein Verkehr und die Strecke führte durch wunderschöne, einsame Natur. Obwohl es noch immer sehr stark windete, genoss ich die Fahrt sehr. Für die Nacht wurde ich wieder in einem Dorf eingeladen und mit Tee und Essen versorgt. Es ist schade, dass ich mich mit meinen Gastgebern der letzten Tage nicht wirklich unterhalten konnte. Die Kommunikation mit Gestik und einem Bild-Wörterbuch ist schwierig, nicht einmal die vermeintlich einfachen Fragen lassen sich so beantworten. Ich bekomme einen Einblick in ein komplett anderes Leben, aber die Menschen, die mir gegenüber sitzen kann ich aufgrund der beschwerlichen Verständigung kaum kennenlernen. Trotz alledem waren das sehr nette Begegnungen und ich bin dankbar, dass sie mich für die Nächte bei ihnen aufgenommen haben.

Nach einer langen Bergabfahrt kam ich am Fluss Valbona an und folgte diesem stromaufwärts bis ich kurz vor der albanisch-kosovarischen Grenze auf einem Feld mein Zelt aufbaute. Am späten Abend kam der ansässige Bauer vorbei und wollte mich zu sich nach Hause einladen. Da die Sonne schon untergegangen war und ich zu müde war mein ganzes Gepäck wieder zusammenzupacken lehnte ich dankend ab. Am nächsten Morgen erreichte ich die Grenze. Der Grenzposten auf der albanischen Seite war nicht besetzt, der kosovarische Grenzbeamte warf nur einen kurzen Blick auf meinen Pass. Für die meisten Albaner verließ ich nicht ihr Land, sondern drang nur in eine weitere Region Albaniens vor, die Grenzbeamten waren wohl derselben Meinung. Während ich durch die Stadt Gjakova radelte, sprach mich Valon an. Wir kamen ins Gespräch und er lud mich zu einem Tee und einer Pizza ein. Valon spricht Deutsch, er lebte als Kind für ein paar Jahre in Deutschland, genauer gesagt in Geradstetten, und zog nach dem Kosovokrieg mit seiner Familie wieder in die Heimat. Die nächsten Tage fuhr ich in erster Linie durch ebenes Gelände, gegen Ende musste ich aber noch einmal auf über 1000 Meter und verließ den Kosovo in Richtung Süden.

Ich war beeindruckt mit welch einer Gastfreundschaft ich in den letzten Ländern empfangen wurde. Unzählige Male grüßten mich die Autofahrer und Fußgänger, Einladungen zum Tee trinken musste ich teilweise ausschlagen sonst hätte ich keine 30 Kilometer am Tag geschafft. Viele Menschen sprechen Deutsch, haben Familie oder Freunde, die im Raum Stuttgart leben und kennen somit auch Städte wie Schorndorf, Endersbach, Korb oder eben Fellbach. Ich habe mich tatsächlich ein paar Mal gefragt, ob ich noch immer im Balkan bin oder falsch abgebogen und wieder in der Heimat gelandet war. Kleine Welt, in der wir leben.

Zwei Wochen in Bosnien und Herzegowina
Mazedonien und Bulgarien

4 Kommentare zu „Montenegro, Albanien und Kosovo“

  1. Lieber Moritz,
    wieder hast Du tolle Bilder von Deiner Reise geliefert! Die geschilderten Begegnungen und Eindrücke der bisherigen Reise sind für mich sehr spannend zu lesen.
    Die Welt scheint in der Tat ein Dorf zu sein und ich lese bei Deinen Berichten auch nach wie vor Deine Neugierde und den Optimismus, mit der Reise etwas Großes zu erleben, heraus!!
    Behalte diesen Optimismus bei und trete weiter fest in die Pedale.
    Liebe Grüße

  2. Lieber Moritz,
    ich bin immer noch einerseits bewegt von der technischen Möglichkeit unseres Videogesprächs, andererseits beeindruckt mich die Einfachheit des Lebens auf dem Balkan mit zufriedenen Menschen. Bei solch positiven Erfahrungen wie Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft bekommt man den Eindruck – gefühlt, dass 99,9 Prozent der Menschen wundervoll sind. Da bleiben 0,1 Prozent für Terrorismus, Amokläufe, Gewalt und korrupte Politiker. Leider wird viel zu oft von schlimmen Nachrichten erzählt und berichtet und man hört viel zu selten von so eindrücklich schönen Erlebnissen und Ereignissen, wie du sie gerade in Albanien, im Kosovo und in Mazedonien erlebst.
    Bleib weiterhin so nah an Mensch und Natur!
    Liebe Grüße aus Schmiden
    Mama

  3. Lieber Moritz,

    die Welt scheint tatsächlich klein zu sein wenn die gastfreundlichen Einheimischen teilweise unsere Heimat kennen und dort gelebt haben.
    Wieder einmal beeindruckende Bilder und ein sehr informativer und spannender Reisebericht den ich sehr gerne lese um an Deiner Reise teilzuhaben.
    Bleib gesund und neugierig und hab weiterhin gute Erfahrungen mit Land und Leute auf Deinen nächsten Etappen.

    Liebe Grüße
    Papa

  4. Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen … lieber Moritz, deine Reise verfolgen wir mit großem Interesse. Die Erfahrungen und Eindrücke werden dich dein Leben lang begleiten. Schön, dass du auch uns in regelmäßigen Abständen daran teilhaben lässt. Gestern haben wir Opas Geburtstag gefeiert und du hast uns gefehlt. Pass weiterhin gut auf dich auf und lass von dir hören 💗

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