Abfahrt in Tiflis. Seán und ich waren begeistert, dass es nach längerer Pause wieder weiterging. Zudem waren wir nicht nur zu zweit, sondern insgesamt zu sechst. Maxi, der ebenfalls im Hostel gearbeitet hatte, wollte uns bis zur Grenze begleiten, musste aber aufgrund eines kaputten Mantels nach 13 Kilometern zum Hostel zurückkehren. Der Amerikaner Jacob und die Engländer Jordan und Pete hatten die letzte Nacht im Hostel übernachtet. Zu allen drei hatte Seán zuvor schon über Instagram Kontakt. Gegen mittags verabschiedeten wir uns in Mark’s Hostel, rollten vom Freiheitsplatz in einer langgezogenen Kurve zum Fluss und der Friedensbrücke hinunter und traten voller Freude in die Pedale. Der starke Rückenwind fegte uns aus der Stadt hinaus, zwischenzeitlich hatten wir aber – da sich unsere Fahrtrichtung änderte – auch mit Gegen- und Seitenwind zu kämpfen. Bergauf ging es dann noch einen Tick langsamer, um nicht auf der Gegenspur zu landen mussten wir uns aktiv in den Wind lehnen. Nach anstrengenden sechs Kilometern wehte der Wind aber wieder in die „richtige“ Richtung und wir verwarfen den ursprünglichen Plan (vor der Grenze nächtigen, nicht zu viele Kilometer am ersten Tag fahren) und fuhren am Nachmittag nach Aserbaidschan ein. Da das Aserbaidschanische dem Türkischen sehr ähnlich ist, konnten wir uns wieder besser verständigen. Zudem weichten die georgischen den lateinischen Buchstaben. Obwohl wir wieder in einem muslimisch geprägten Land waren, bekamen wir nur wenige Moscheen zu sehen. In Aserbaidschan überwiegt der Shia-Islam, während in der Türkei der Sunni-Islam vorherrscht. Die Moscheen sind teilweise nicht so groß und auffällig, sondern sind eher einfach gehalten. Für Unwissende sind diese leicht zu übersehen. Zudem ertönte der Azan (Gebetsruf) nur drei anstatt fünf Mal am Tag. Die Einheimischen grüßten uns ununterbrochen mit Hupen, Zurufen und Winken. Dies wirkte doch fast schon wie ein kleiner Kulturschock, da die Georgier in dieser Hinsicht reservierter waren. Zudem waren wir zurück in einem Ҫay-Land. Statt einzelnen Gläsern bekamen wir in Aserbaidschan jedoch immer eine Teekanne auf den Tisch gestellt.
Das Fahren in der Gruppe machte unglaublich viel Spaß, auch wenn die Jungs ein ordentliches Tempo vorgelegt hatten. Ein großer Unterschied zum alleinigen Radeln waren die Abende. Zusammen die Zelte aufzuschlagen und auch noch um die späte Uhrzeit Gesellschaft zu haben war ein großer Pluspunkt. Außerdem ließen sich mit zwei Kochern und mehreren Töpfen weitaus leckerere Gerichte zubereiten.
Wir kamen flott voran, da wir die meiste Zeit Rückenwind hatten und unsere gewählte Route durch Aserbaidschan kaum Höhenmeter aufwies. Den letzten größeren Anstieg hatten wir hinter Tiflis, von dort ging es bergab oder es war eben. In Ganja stoppten wir an einer Parkanlage, dessen imposantes Gebäude stark an den Pariser Triumpbogen erinnerte. Wir drehten eine Runde durch den Park, der sich über einen Kilometer zog und neben dem Triumpfbogen auch mehrere Fontänen aufwies, dessen Wasser in den Farben Aserbaidschans eingefärbt wurde. Der oberste Sicherheitsbeamte erklärte uns, dass in zwei Tagen ein großes Fest stattfinden würde und deshalb diese Vorbereitungen getroffen wurden. Zwei Tage später kamen uns auf der Straße haufenweise Militärfahrzeuge entgegen. Ob diese auf den Weg nach Ganja waren, konnten wir aber nicht in Erfahrung bringen.
Am Morgen von Tag 4 verabschiedeten wir uns von Jacob, der sich über die Berge auf den Weg zur russischen Grenze machte. Die restliche Gruppe fuhr hingegen weiter in Richtung Kaspisches Meer – ohne jegliche Höhenmeter. Dieser Teil Aserbaidschans ist total flach, Autos, die uns passierten, ließen sich eine Ewigkeit mit bloßem Auge in die Ferne verfolgen. Die Tage verliefen ähnlich, Dank der Gesellschaft aber immer lustig und unterhaltsam. Nachdem die Zelte am Morgen einigermaßen trocken waren, setzten wir uns ein paar Kilometer aufs Rad bis wir das erste Restaurant oder Café erreichten, wo es für jeden ein paar Gläser Çay gab. Ab und zu bereiteten wir diesen auch selber zu, da Jordan und Pete seit der Türkei einen Teekocher besitzen. Ein treuer Begleiter in Aserbaidschan war der starke Wind, zu 80% kam dieser glücklicherweise aus Westen. Auf den Straßen verkehrten überwiegend alte Ladas, ein Überbleibsel aus Zeiten als dieses Land der Sowjetunion angehörte.
Eines Tages erspähten wir Wassermelonen am Straßenrand als wir verschwitzt durch die Mittagshitze fuhren. Wir zückten unsere Manatscheine und stellten etwas später fest, dass uns der Verkäufer gerade 15€ abgenommen hatte. Etwas teuer, so forderten wir unser Geld zurück und machten uns wieder fahrbereit während der Verkäufer uns günstigere, aber immer noch zu hohe, Preise nannte. Am selben Tag kamen wir am frühen Abend an einer stillgelegten Tankstelle vorbei. In dem in die Jahre gekommenen Gebäude wohnte eine Familie, die uns einen Bungalow anbot, nachdem wir uns erkundigt hatten, ob wir unsere Zelte auf ihrem Grundstück aufschlagen dürften. Vor Wind geschützt und im Warmen legten wir unsere Schlafmatten zurecht.
Nach 30 Kilometern am nächsten Tag halbierte sich die Gruppe. Jordan und Pete fuhren nach Alat um dort die Fähre über das Kaspischen Meer nach Kasachstan zu nehmen, während Seán und ich rechts abbogen und den direkteren Weg in Richtung Iran nahmen. Die irisch-deutsche Fahrgemeinschaft war nun nicht mehr auf der Autobahn unterwegs und kam somit auch wieder öfters durch Dörfer. Die Straßen hatten teilweise allerdings mehr Löcher als geschlossene Straßendecke zu bieten. In der Gegend um Shirvan bekamen wir viele Ölpumpen zu sehen. Im Gegensatz zu den rießigen Ölplattformen in den Meeren wirkten diese fast schon niedlich. Manche waren keine 20 Meter von der Straße entfernt und da diese nicht umzäunt waren, konnten wir aus nächster Nähe beobachten wie das „schwarze Gold“ an die Erdoberfläche befördert wurde. Einerseits faszinierend den Bewegungen der Maschine zu folgen und dass sowas technisch möglich ist, andererseits unerklärlich mit Blick auf die Umwelt. Wenn ich im nächsten Moment allerdings mein Fahrrad, die Taschen und deren Inhalte betrachte, muss ich eingestehen, dass die Mehrheit der Dinge in dieser Form ohne Erdöl nicht existieren würde.
An Tag 8 bekamen wir am Abend zum ersten Mal das Kaspische Meer zu sehen und schlugen daraufhin unsere Zelte am Strand auf. Eine Stunde später fuhren drei Grenzbeamten vor und baten uns höflich – nachdem Pässe und Visa kontrolliert wurden – unsere Zelte 100 Meter weiter weg vom Meer aufzuschlagen. Wir wären hier nicht sicher, da die Wellen in der Nacht bis hierherkommen würden. Wir waren verwundert, hatten wir uns doch zuvor übers Internet nach den Gezeiten (Unterschied zwischen Ebbe und Flut maximal 21 Zentimeter) und dem Wetter (schwacher Wind, kein Sturm) erkundigt und uns zusätzlich bei einem Fischer, der keine 30 Meter von uns entfernt in einer Hütte wohnte, abgesichert und das Okay eingeholt. Wir versicherten den Beamten, dass wir umziehen würden, ließen sie davonfahren und widmeten uns unserem Abendessen – ohne Umzug.
Nach neun Tagen in Aserbaidschan näherten wir uns der Grenze. In der Grenzstadt Astara gaben wir unsere letzten Manat in einem Restaurant aus. Am aserbaidschanischen Grenzposten sind wir aus Versehen vorbeigefahren – wir hätten eine Rampe hochfahren müssen, welche einer Auffahrt zu einer Werkstatt ähnelte – ein Beamte hatte uns aber zügig zurückgerufen. Der Vorgang zog sich ein wenig, nicht nur weil wir unsere Taschen in einen Gepäckscanner geben mussten, sondern auch aufgrund des Grenzbeamten, der sich sehr viel Zeit für die Kontrolle unserer Pässe und Visa nahm – inklusive Gesichtskontrolle. Schal und Helm abnehmen, das Gesicht ein wenig nach unten neigen, nicht lächeln und bitte einen Blick in die Kamera werfen. Auf iranischer Seite ging dies deutlich schneller, aber auch hier mussten wir unsere Taschen vom Rad nehmen und durchleuchten lassen. „Welcome to Iran“ wurde uns mehrmals zugerufen, wir fuhren noch ein paar Kilometer aus der Stadt hinaus und bauten zwischen Reisfeldern, einem Elektrizitätskraftwerk und einem Friedhof unsere Zelte auf.
Hallo Moritz,
die Leichtigkeit deines Schreibens begeistert uns immer wieder aufs Neue👌😃. Am Ende eines jeden Berichts sagen wir uns jedes Mal: Och schade, schon wieder zu Ende. Dann hilft nur hochscrollen und nochmal lesen und nochmal und nochmal (grins).
Wir haben mal bei deinen Radkollegen durchgeklickt. Jacob (NIKTIA) reist seit Jahren mit sehr wenig Gepäck, aber er kennt bald die ganze Welt. Hammer!!!
Wie macht er das ohne zu arbeiten? Er scheint ja noch nicht im Rentenalter zu sein.
Nun sind wir aber total neugierig und gespannt auf neue Bilder mit den gastfreundlichsten Menschen der Welt, –> aus dem Iran.
Schade, dass Seán nicht weiter mitfährt. Scheint ein lustiger Kerle zu sein.
Komme gut und sicher weiter voran!!!
Grüße aus dem sonnigen Schmiden😎
Mama und Steff
PS: Ab heute haben wir hier Sommerzeit, SUPER, und gerade Knallerwetter🏖, ach ja und die Eichhörnchen sind auch wieder da🐿🐾🤗🤗🤗